Sempach, 8. September 2017
Anfrage zu Aussagen der Schweizerischen Vogelwarte zum Windpark Chroobach
Aussage 1: „Als Resultat der Voruntersuchungen von Sempach wurde kein wesentliches Konfliktpotential festgestellt, weder für den Vogelzug noch für die Habitate. Da die Chroobach Anlagen aber zu den ersten WEA im Wald gehören und es in der Schweiz kaum Erfahrung mit Waldstandorten gibt, ordnete die Vogelwarte Sempach als Vorsichtsmassnahmen das Projekt sowohl beim Vogelzug als auch bei Brut-vögeln eine Gefährdungsstufe höher ein als es üblich wäre.“
In unserer Vorabklärung heisst es zu den Brutvögeln wörtlich: „Laut der Konfliktpotenzialkarte Windenergie – Vögel Schweiz: Teilbereich Brutvögel, Gastvögel und Vogelschutzgebiete gemäss WZVV weist der geplante Standort für Brutvögel ein geringes Konfliktpotenzial auf. Allerdings wurde bei der Erarbeitung der Konfliktpotenzialkarte angenommen, dass die Errichtung von WEA im Wald nicht möglich ist, wodurch Vogelarten, welche vorwiegend im Wald heimisch sind, vom Ausbau der Windenergienutzung nicht betroffen wären. Zur Errichtung von WEA im Wald müssen Waldstücke gerodet werden, wodurch für im Wald lebende Vogelarten direkt ein Habitatsverlust entsteht. In zweiter Linie würde nach der Errichtung der WEA ein Kollisionsrisiko bestehen, dessen Grösse für die meisten Arten jedoch unbekannt ist. Für das vorliegende Projekt wurde zusätzlich eine separate Beurteilung hinzugefügt, um aufzuzeigen, für welche Vogelarten im Zusammenhang mit der Rodung des Waldes ein Konfliktpotenzial besteht.“ „Bereits jetzt (Anmerkung: also ohne die noch als nötig beurteilten Felderhebungen) kann allein aufgrund von Zufallsbeobachtungen gesagt werden, dass für Brutvögel ein mässiges Konfliktpotenzial (Anmerkung: mittlere von drei Stufen: gelb) besteht.“
Zum Vogelzug heisst es in unserer Vorabklärung: „Gemäss Datenbank wurden im Gebiet acht Vogelarten nachgewiesen, die zur Zugzeit im Gebiet unterwegs waren, was sicher sehr unvollständig ist. Auf dem Zug sind sämtliche Arten kollisionsgefährdet. Die Konfliktpotenzialkarte Windenergie – Vögel Schweiz: Teilbereich Zugvögel besagt, dass das Konfliktpotenzial mit Zugvögeln als mässig eingeschätzt werden kann. Basierend auf einer im Jahr 2008 in der Region Radolfzell durchgeführten Radarstudie erwarten wir aber, dass im Bereich des geplanten Windparks regelmässig Zugvögel in grosser Zahl durchziehen (Breitfrontzug Kleinvögel). Im Zusammenhang mit der Unsicherheit der
Modellvorhersage, auf welcher die Konfliktpotenzialkarte beruht, stufen wir das Konfliktpotenzial mit Zugvögeln höher ein als auf der Konfliktpotenzialkarte vermerkt, nämlich als mässig bis gross.Dies entspricht der Stufe gelb bis orange: Konfliktpotenzial vorhanden bis gross.“
Da sich diese Aussagen auf nächtlich ziehende Arten stützen, haben wir zudem die Untersuchung der thermiksegelnden Arten (Greifvögel und Störche) empfohlen. Das Risiko mit nächtlich ziehenden Kleinvögel kann mit Radarabschaltungen reduziert werden, für Greifvögel und Brutvögel jedoch nicht.
Aussage 2: „Gemäss einem aktuell in Vernehmlassung befindenden Leitfaden zur UVP Untersuchung des BAFU, welcher die national prioritären, windsensiblen Arten auflistet, ist der Rotmilan in Bezug auf Windenergieanlagen nicht als Individuum stark gefährdet.“
Vor allem Individuen sind durch Windenergieanlagen stark gefährdet. Eine Kollision endet meist tödlich. Es ist jedoch so, dass individuelle Verluste nicht zu einem Rückgang des Bestandes führen müssen und daher gewisse Verluste beim Abwägungsprozess in Kauf genommen werden können. Diese Abwägung ist jedoch Sache der bewilligenden Behörde. Viele individuelle Verluste können zu einem Bestandsrückgang führen, der kritisch zu bewerten ist.
Aussage 3: „Es wurden im Rahmen dieser Kartierungen keine Massenansammlungen von Rotmilanen festgestellt“
Diese Aussage ist vermutlich eine Reaktion auf unser Treffen mit den Projektbeteiligten im Januar 2017, weil wir darauf aufmerksam gemacht haben, dass grosse Schlafplätze von 100 Ind. im Umkreis von 5 Kilometern um den Standort aus Sicht der Vogelwarte zum Ausschluss der Windkraftnutzung führen müssen. Planstatt Senner kann aufgrund der Erfassungszeiten bei der Erhebung (die erste Begehung fand am 26.02.2016 statt) diese Fragestellung nicht befriedigend beurteilen. Rotmilan-Schlafplätze sind zwischen November und Januar zu erfassen, da sich diese im Frühjahr bald auflösen. Zudem wurde der Perimeter von 5 km nicht kontrolliert. Wir hatten diese Untersuchung 2014
nicht gefordert, da es damals keinen Hinweis auf einen Solchen Schlafplatz gab. Allerdings ist es nicht statthaft diese Aussage nun ohne geeignete Untersuchung zu treffen. Um diese Aussage zu bestätigen, sind folglich Erhebungen zu geeigneten Zeiten und in ausreichendem Umkreis nötig.
Aussage4: „Ausserhalb des 1000 m Radius wurden Rotmilane und Schwarzmilane entdeckt.“
Wie aus Folie 6 von Herrn Heliosch ersichtlich ist, brüten auch innerhalb des 1 km Radius um die
geplanten WEAs 3 Rotmilane und 2 Schwarzmilane; nur wenige Meter ausserhalb kommen jeweils drei weitere Brutpaare hinzu.
Aussage 5: „Der Rotmilan sowie der Baumfalke würden in Deutschland als windempfindliche Arten eingestuft. Diese Vorgabe würde die Schweiz nicht machen.“
Diese Vogelarten sind überall gleich windkraftsensibel. Die Vogelwarte Sempach stuft dieselben Arten als windkraftsensibel ein wie dies in Deutschland der Fall ist. Allerdings kommen sogar weitere alpine Arten in der Schweiz hinzu, die in Deutschland nicht vorkommen (z.B. Bartgeier, Alpenkrähe). Der behördliche Umgang mit diesem Thema ist bislang unklar, da das UVP-Handbuch derzeit in Vernehmlassung ist – mit unbekanntem Ausgang.
Aussage 6: „Insgesamt wertet die Studie den Vogelzug im Bereich der Anlagen als geringer als ursprünglich erwartet. Die Ergebnisse seien auch der Vogelwarte Sempach vorgestellt worden, welche die Resultate bestätigte.“ Uns wurden die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt, aber die Ergebnisse können wir nicht bestätigen,da wir nicht vor Ort waren. Im Protokoll steht hierzu: „Diskutiert wurde zusätzlich der Nachtzug von Vögeln. In der Vorabklärung wurde auf die Radarstudie Radolfzell/Möggingen verwiesen,die auch den Nachtzug erfasst hat. Eine Einschätzung zum Nachtzug für den Standort Chroobach sei für Kleinvögel oder Entenvögel ohne Messungen schwierig vorzunehmen. JAs erwähnt dazu die
Untersuchung bei Peuchapatte JU, die gezeigt hat, dass über 98% der Vögel ausweichen. Was aber auch gezeigt wurde, ist dass weniger Grossvögel sondern vor allem Kleinvögel betroffen waren. Es ist schwierig zu beurteilen, ob sich die Resultate von Peuchapatte direkt auf den Chroobach übertragen lassen. Der Nachtzug bleibt eine gewisse Unbekannte.“
Die Vogelwarte Sempach bestätigt folglich nicht, dass der Vogelzug geringer ist als ursprünglich erwartet.
Zudem wurde von uns auf das warme Herbstwetter verwiesen, das gesamtschweizerisch zu Vogelzug in grosser Höhe und somit geringer Entdeckbarkeit geführt hat.Auswirkungen auf das Wasservogelreservat Stein am Rhein wurden diskutiert. Effektive Auswirkungen sind jedoch schwierig voraussehbar, wurden aber tendenziell nicht erwartet. Zudem wurde nun bei genauerer Prüfung der Zugvogeluntersuchung von Planstatt Senner festgestellt, dass der Vogelzug meist ab morgens 8:30 Uhr für 4 Stunden erfasst wurde und nur in einem Fall – wie vorgegeben – ab 10 Uhr. Thermiksegelnde Arten sind jedoch primär mittags und nachmittags unterwegs. Die Uhrzeit für eine repräsentative Erfassung des Zugs thermiksegelnder Arten war zu früh. Zudem gibt es prüfenswerte Artdiagnosen.
Aussage 7:„Die Vogelwarte begrüsste die detaillierte Untersuchung, die nun für die spätere Bewertung des Gebietes herangezogen werden kann. Derart detaillierte Untersuchungen hätte es bis anhin in diesem Gebiet mit einer Ausnahme einer kleineren, früheren Studie, die nur einen Teil des Gebietes absteckte, nicht gegeben.“
Die Erfassung der Greifvogel und Eulen durch das Büro Planstatt Senner ist detailliert. Bezüglich der
Erhebung der Waldschnepfe bestanden methodische Fragen zum Untersuchungszeitraum, und die Darstellung der prioritären Arten Grau- und Mittelspecht wurde eingefordert (speziell die kartografische Darstellung der angeblich 11-20 Reviere des Mittelspechts).
Die angesprochenen Defizite sindin der Version des Vortrags von Planstatt Senner vom 14.03. nicht aufgegriffen worden. Eine „kleinere frühere Studie, die nur Teile des Gebietes absteckte“ ist uns nicht bekannt.
Aussage 8:„Schliesslich wurden die technischen Vermeidungsmöglichkeiten sowie die Schutzmassnahmen für die Projektierung– und Bauphase vorgestellt (siehe Folien 17 und 18). Auch diese wurden mit der Vogelwarte Sempach besprochen. ….. Man werde deshalb nicht vollkommen verhindern können, dass Vögel zu Schaden kommen. Abschaltungen würden zum Beispiel bei Fledermäusen gut funktionieren, weil die Aktivitäten der Fledermäuse aufgrund verschiedener Parameter sehr gut vorhersagbar seien. Bei den Greif- und Zugvögeln sei das weniger gut möglich. Trotzdem können die Anlagen an den Tagen mit grossen Zugbewegungen abgeschaltet werden.“
In der Sitzung vom 10.01.2017 stellte die Vogelwarte gemäss Protokoll fest, „dass Massnahmen zur Verminderung von Kollisionen für den nächtlichen Kleinvogelzug mittels Abschaltungen möglich sind, für einzeln ziehende (Gross-)Vögel und Brutvögel aber nicht. Massnahmen zur Minderung der Lebensraumzerstörungen und Störungen sind nicht bekannt.“ Diese Aussagen dann mit den Worten zusammenzufassen, dass „man könne nicht vollkommen verhindern, dass Vögel zu Schaden kommen“ ist gelinde gesagt nicht nachvollziehbar. Aussagen zu Fledermäusen hat die Vogelwarte nicht geäussert. Weiterhin wurde gewünscht, diese fehlende Kompensierbarkeit für Brut- und Greifvögel im UVB klar darzustellen, damit die entscheidenden Behörden objektiv urteilen können. Dieser Schritt scheint nun vom Ökobüro vorweg genommen zu werden.
Aussage 9: „Wiederum betreffe dies nicht den Rotmilan, da er nur über dem offenen Land jage. Den Wald benutze er nicht zur Nahrungssuche.“ „In Bezug auf Chroobach sei festzuhalten, dass der Standort, der im Wald liegt, für den Milan günstig sei, da der Milan sich nicht im Wald aufhalte. Das hätte man an anderen Orten mit Raumanalysen festgestellt und könne diese Erkenntnis auch auf Chroobach übertragen.“
Der erste Satz wurde so geschrieben, dass man im Kontext meinen könnte dies sei eine Aussage der Vogelwarte. Sie stammt jedoch von Herrn Heliosch und ist inhaltlich einfach widerlegbar. In einem Kilometer Umkreis um die geplanten Anlagen brüten 3 Rotmilan-Paare im Wald (Folie 6 der Präsentation zeigt deren Lage; der nächste Horst ist etwa 250 m bzw. 350 m von den geplanten WEAStandorten entfernt). Dies beweist eine sehr regelmässige Nutzung des Waldes durch den Rotmilan, ebenso wie die Karte der lokalen Flugbewegungen (Folie 14). Die Aussage, dass der Rotmilan den Wald nicht nutze obwohl sich in etwa 1,2 km Umkreis 6 Nester im Wald befinden, ist befremdlich.
Die Vogelwarte äusserte sich gemäss Protokoll vom 10.01.2017 wie folgt zum Thema: „Die Brutdichte der Rotmilane ist hoch, für die Struktur des Untersuchungsgebietes aber im zu erwartenden Bereich.Nach Schweizer Handhabung sei das (Anmerkung: die hohe Brutdichte) trotz der bestehenden Gefahr für die Rotmilan-Brutpaare aber kein Tabu für Windenergieanlagen. Nach deutscher Beurteilung aber kritisch. Die Handhabung im Umgang mit Deutschland ist unter Berücksichtigung der Vorgaben der Espoo Konvention zu prüfen.“
Zudem wurde erwähnt, aber nicht schriftlich festgehalten, dass nach Baden-württemberger Handhabung das Kriterium für einen Ausschluss der Anlage erreicht sei, da in 3.3 km Radius um den geplanten Windpark mindestens 4 Brutpaare brüten („Dichtezentrum“). Aufgrund der grenznahen Lage wirkt sich das Projekt auf „deutsche“ Rotmilane aus, daher ist diese Handhabung mit den deutschen Behörden abzuklären. Diesen Standort nun also als „günstig“ für den Rotmilan darzustellen, spricht nicht für die Objektivität der Gutachter.
Fazit
Angesichts dieser langen Reihe von Aussagen, die wir nun kommentieren mussten, wäre es wünschenswert gewesen die Vogelwarte zu dem Stakeholder-Anlass ebenfalls einzuladen, damit wir unsere Meinung selbst hätten mitteilen können. So muss der Eindruck entstehen, dass unser Name verwendet wurde, um das Projekt als bedenkenfrei zu deklarieren. Angesichts der langen Liste von nicht korrekten Aussagen müssen wir Planstatt Senner und die Projektbetreiber darauf hinweisen, dass unsere Vorabklärung (siehe Kapitel 1.4.1. in der Vorabklärung) dem UVP als Ganzes beigelegt werden oder zumindest die Zusammenfassung unverändert übernommen werden muss. Veränderte Passagen und Aussagen zu unserer Vorabklärung sind uns vorab vorzulegen und mit uns abzustimmen. Ich bedanke mich herzlich, dass Sie uns angefragt haben und uns die Möglichkeit gegeben haben, diese Aussagen klarzustellen – sowohl gegenüber Ihnen als auch den Projektbetreibern und Gutachtern.
Mit freundlichen Grüssen
Stefan Werner